Perspektiven für Nordostsyrien

Perspektiven für Nordostsyrien

Die Situation nach dem Ende des Assad-Regimes von Michael Wilk 3. Februar 2025

https://www.graswurzel.net/gwr/2025/02/perspektiven-fuer-nordostsyrien/

Mehr als dreizehn Jahre nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung des Arabischen Frühlings und dem anschließenden Beginn des Bürgerkriegs in Syrien kollabierte im Dezember 2024 die syrische Diktatur. Der Autokrat Baschar al-Assad floh ins russische Exil. Das Ende des Folter-Regimes der Familie Assad, die Syrien seit 1971 totalitär regiert hatte, ist ein Grund zum Feiern. Gleichzeitig ist eine neue Diktatur durch die siegreichen islamistischen Milizen zu befürchten. Hoffnungsträger für feministische, anarchistische, ökologische und andere emanzipatorische Bewegungen sind dagegen die Menschen, die seit 2012 vor allem in den kurdischen Gebieten Syriens versuchen, eine autonome, selbstverwaltete und emanzipatorische Sozialstruktur zu organisieren. Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, bekannt unter dem kurdischen Namen Rojava (Westkurdistan), ist ein de facto autonomes Gebiet in der gleichnamigen Region im Nordosten von Syrien. Dort wird versucht, eine direkte Demokratie mit pluralistischen Prinzipien zu realisieren, die für ökologische Nachhaltigkeit eintritt und die Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von Ethnie, Religion oder Geschlecht verwirklicht. Seit 2016 wird die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien von der Türkei angegriffen. Für die GWR beschreibt Dr. med. Michael Wilk die aktuellen Entwicklungen. Der Autor von „Erfahrung Rojava – Berichte aus der Solidaritätsarbeit in Nord-Ostsyrien“ (Edition AV, Lich 2022) ist aktiv im Anarchistischen Forum Wiesbaden und seit 2014 regelmäßig unterstützend als Notarzt für den Kurdischen Roten Halbmond in Rojava im Einsatz. (GWR-Red.)

Dr. Michael Wilk Rojava / Nordostsyrien, Bericht Oktober 2023

Dr. Michael Wilk Rojava / Nordostsyrien, Reisebericht Oktober 2023

Ein Krieg niedriger Intensität, staatlicher Terror als alltäglicher Zustand in Rojava. Die Angriffe der Türkei zielen, neben der Zerstörung von v.a. ziviler Infrastruktur, auf die mentale Verfasstheit der Bevölkerung.

Die Situation in Rojava, Nordostsyrien, hat sich in den letzten Wochen deutlich verschärft. Seit Anfang Oktober greifen Kampfflugzeuge und Drohnen der türkischen Armee verstärkt Menschen, Fahrzeuge und lebenswichtige Infrastruktur in dem autonomen, unabhängig vom Assad Regime verwalteten, Gebiet an.

Laut der Vertretung der Selbstverwaltung ergibt sich folgende Bilanz (Stand 19.10.2023): Bei 580 Luftangriffen wurden 44 Menschen getötet, darunter 2 Kinder, 55 wurden verletzt. 11 Kraftwerke wurden beschädigt, 2 Krankenhäuser (laut meinen Recherchen zum Zeitpunkt der Angriffe unbelegt) wurden zerstört, 48 Bildungsstätten wurden angegriffen, 1 Fortbildungszentrum einer Einheit für Anti-Drogen-Einsätze wurde bombardiert.

Als Begründung für die verstärkten Angriffe dient ein Anschlag der PKK am 1. Oktober 2023 in Ankara, bei dem die beiden Attentäter ums Leben kamen. Neben der Tatsache, dass die Menschen Rojavas nicht für den Anschlag verantwortlich sind, ist diese Begründung auch vor dem Hintergrund seit Jahren bestehender Angriffe und Invasionen auf Nordostsyrien zynisch. Seit der Selbstorganisierung der multiethnischen Bevölkerung im Norden Syriens, – hier leben neben kurdischen Menschen u.a. arabische, aramäische und jesidische Bewohner*innen, wird Rojava von der Türkei zunehmend attackiert.

Die Menschen Rojavas distanzieren sich nicht nur vom Assad-Regime und haben die Gleichberechtigung der Geschlechter eingeführt, sondern haben zudem, im Bündnis mit der Anti IS Koalition, die islamistische Terrororganisation IS militärisch zerschlagen. Das Erdogan Regime befahl mehrfach den Einmarsch in Nordsyrien, in Afrin 2018, ebenso wie die Invasion 2019. Die Überfälle hatten nicht nur zahlreiche Tote und Verletzte zur Folge, sondern trieben zudem Hunderttausende in die Flucht. Die Attacken des NATO Landes Türkei sind also mitnichten eine Reaktion auf ein aktuelles Ereignis, sondern finden schon seit Jahren statt.

Die aktuellen Angriffe durch das Nato Mitglied Türkei haben massive Auswirkung für die Bevölkerung, v.a. im Bereich der Energie- und der Wasserversorgung. War die Infrastruktur durch frühere türkische Angriffe auf Pumpstationen und die Niedrigregulierung des Euphrat bereits in einem schlechten Zustand, sind nun die Verhältnisse in Bereichen katastrophal.

Bombardierung eines Stromverteilers durch türkisches Flugzeug in Qamishlo am 5.10.2023

Beim Besuch der Bürgermeisterinnen von Derik und Kobane wurden mir eindrücklich die Not und die Folgen für abertausende Menschen der Regionen geschildert. Zerstörte Pumpstationen und Leitungssysteme lassen die Versorgung durch Tankwagen notwendig werden. Noch funktionierende Pumpen sind durch zerstörte Kraftwerke nur noch mit Hilfe von Dieselgeneratoren zu betreiben. Zum Teil lassen sich die Schäden nicht beheben, da sie im direkten Feuerbereich türkischer Geschütze liegen.

Ganzer Bericht: https://frankfurt-kobane.org/dr-michael-wilk-rojava-oktober-2023/ Lies auch:“Erdogans unbeachteter“ Krieg https://www.tagesschau.de/ausland/asien/tuerkei-kurden-nordsyrien-100.html

„Corona, Gesundheitswesen und Herrschaftsverhältnisse“

„Gesundheit und Gesundheitsvorsorge, Krankheitsbekämpfung oder Seuchenbekämpfung darf prinzipiell nicht etwas sein, was sich an Profitmargen orientiert, sondern muss sich an Notwendigkeiten der Versorgung orientieren. An nichts anderem,“ sagt der Wiesbadener Arzt und Notfallmediziner Michael Wilk. Ein Interview von Medienkollektiv Frankfurt https://youtu.be/9_FCku4fM_w

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Im März 2022 haben wir Michael Wilk getroffen und mit ihm über weltweite Gesundheitsfürsorge, Privatisierung des Gesundheitswesens und Handlungsoptionen im Kampf für mehr Gerechtigkeit gesprochen. Die kapitalorientierte Verteilung von Impfstoffen und die Blockierung der Freigabe von Patenten seien dabei nur ein Teil des Problems. Grundsätzlich sei es notwendig, Macht- und Herrschaftsverhältnisse im weltweiten Gesundheitssektor kritisch zu hinterfragen. Mit Blick auf die desolaten Zustände in behelfsmäßig errichteten Coronakliniken in Rojava, in denen er als Notfallmediziner hilflos Menschen beim Sterben zusehen musste, erscheint ihm die von Schwurbler_innen befeuerte Diskussion rund um das Impfen als Luxusproblem. Doch was braucht es für einen Wandel? Zunächst einmal sei es notwendig, sich nicht auf dem verhältnismäßig hochwertigen Gesundheitssystem Deutschlands auszuruhen. Eine stärkere gewerkschaftliche und gesellschaftliche Organisation, mehr Personal und bessere Bezahlung sieht Wilk als Schlüssel.

Gesundheitsversorgung und Selbstverwaltung.

„Die Bombardierung von Menschen und Einrichtungen im Nordosten Syriens durch die Türkei stellt derzeit die größte menschliche und gesundheitliche Belastung für die Bevölkerung in Rojava dar, erklärt der Wiesbadener Arzt Michael Wilk.

In der vergangenen Woche haben Menschen in aller Welt zehn Jahre Autonomie und Hoffnung in Nord- und Ostsyrien gefeiert, aber es waren auch zehn Jahre intensiven Drucks von allen Seiten und heftiger militärischer Verteidigung. Die AANES (Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien) musste ihre Strukturen und Institutionen in einer Situation des unerbittlichen Kampfes aufbauen. In einem auf dem Onlineportal Medya News erschienenen Interview von Sarah Glynn erläutert der Arzt Dr. Michael Wilk, was dies für die Entwicklung und die Praxis der Gesundheitsversorgung bedeutet.

Michael Wilk ist politischer Aktivist und Schriftsteller sowie praktizierender Arzt in Deutschland und hat seine medizinischen Fähigkeiten eingesetzt, um Menschen dort zu unterstützen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Seit 2014 hat er in Nordsyrien die Kampfgebiete und die Lager für Binnenvertriebene besucht und eng mit Hevya Sor a Kurd, dem kurdischen Roten Halbmond, zusammengearbeitet.“

Redebeitrag Ostermarsch 2022.

Gegen Krieg, gegen Autokraten und Imperien! Krieg als Herrschaftsinstrument weltweit ächten!

Die russische Armee führt auf Befehl Putins einen mörderischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die militärische Aggression fordert Tote und Verletzte, zerstört Städte, riskiert atomare Verseuchung durch Angriffe auf AKWs und bringt die Welt an den Rand eines Atomkriegs.

Unsere Solidarität gilt den bedrohten Menschen, den Fliehenden als auch denen, die sich dem Krieg in Russland entgegenstellen oder in der Ukraine Widerstand leisten.

So notwendig Widerstand gegen imperiale militärische Gewalt ist und so sehr wir den aktuellen Druck gegen die russische Regierung, Oligarchen und Banken begrüßen, so sehr lehnen wir jedoch Kriegsrhetorik ab, die nationalistische und autoritäre Töne trägt und die nächsten Kriege schon vorbereitet… Rede und Video über Link: https://aku-wiesbaden.info/redebeitraege-auf-dem-ostermarsch-2022-in-mainz-wiesbaden/

„Erfahrung Rojava“ Berichte aus der Solidaritätsarbeit in Nordostsyrien

Michael Wilk (Hrsg.)
„Erfahrung Rojava“
Berichte aus der Solidaritätsarbeit in Nord-Ostsyrien
Mit Beiträgen von Michael Wilk, Nujin, Torsten Lengfeld, Elke Dangeleit, Peng, Beriwan Al-Zin, Thomas Lutz, Meryem, Tom

Verlag Edition AV ISBN 978-3-86841-283-3 250 Seiten 18 € http://www.edition-av.de/

Das Gesellschaftsmodell Nord-Ostsyriens, die Organisierung basisdemokratischer Selbstverwaltung, der Anspruch einer Gleichberechtigung der Geschlechter ist eine Herausforderung, die großen Einsatz, Mut und Kraft auf Seiten der Menschen Rojavas erfordert. Das Ringen um Autonomie gegenüber dem Assad-Regime, der Kampf gegen den IS und die Bedrohung durch das türkische Erdogan-Regime belasten den Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung. Solidaritätsarbeit ist ein wichtiger unterstützender Faktor in diesem Prozess. Wie sehen, empfinden und bewerten Menschen ihren Einsatz unter diesen Bedingungen, welche Ansprüche vertreten sie, was hat sie motiviert, beflügelt oder auch enttäuscht. Wie manifestiert sich der Prozess der Erfahrung des voneinander Lernens in und um die Bewegung in Rojava in den Herzen und Köpfen der Helfenden?

Nothilfe in Nordsyrien – „Sogar eine Hühnerfarm wird Corona-Klinik“

Datum:
22.04.2021 18:59 Uhr

Unter Kriegsbedingungen und mit äußerst limitierten Mitteln leisten Mediziner im Nordosten Syriens Corona-Nothilfe. Der deutsche Arzt Michael Wilk unterstützt sie vor Ort.


https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-nordsyrien-notsituation-wilk-100.html?fbclid=IwAR0qTpYQr607hNQuw-0mN7f_Hy9WdDezQuZdqRQUNCZg_QEf59vgAQSZIkw

Dr. Michael Wilk 20. April 21 Haseke Nord/Ostsyrien Rojava

„Dicht neben der Corona-Kinik Washokani befindet sich ein Camp für Geflohene. Hier leben 14.000 Menschen in Zelten unter widrigsten Bedingungen. Ebenfalls bei Haseke, Großstadt/Umland mit ca. 1 Million Einwohner*innen, liegt ein weiteres Camp, Serekaniye mit 11.000 Bewohner*innen. Dieses zweite Camp ist benannt nach der Stadt gleichen Namens, die im Oktober 2019 von türkischer Armee und islamistischen Truppen des  Präsidenten Erdogan erobert wurde. Serekaniye war eine schöne, mehrheitlich kurdisch bewohnt Stadt, direkt an der Grenze der Türkei gelegen. Auf der anderen Seite der politischen Demarkationslinie leben ebenfalls kurdische Menschen, getrennt von ihren Verwandten in Syrien, durch eine von Siegermächten nach dem Ende des osmanischen Reichs gezogene Grenze….“ https://aku-wiesbaden.info/4-bericht-rojava-syrien-von-dr-michael-wilk/