Redebeitrag von Dr. Michael Wilk für den Ostermarsch Mainz-Wiesbaden am 31. März 2018

„Liebe Freundinnen und Freunde,

rund 21 Millionen Einwohner lebten in Syrien, ca. 500.000 sind gestorben, ca. 11 Millionen sind auf der Flucht, 5 Millionen davon im Ausland.
Mit der Besetzung Afrins geht das Morden und Sterben weiter – erreicht das Elend einen neuen Höhepunkt.
Hunderttausende sind erneut auf der Flucht. Ich war noch vor wenigen Tagen im Gebiet Afrin/Sheba nördlich von Aleppo. Zehntausende kampieren noch unter freiem Himmel, es fehlt an allem: Unterbringung, Nahrung, medizinischer Versorgung.

Die türkische Aggression wäre nicht möglich ohne die Duldung und Unterstützung durch BRD und EU. Es sind nicht nur Waffengeschäfte, es geht um Einflußzonen und ökonomisch/militärischen Machterhalt…“ https://www.friedenskooperative.de/ostermarsch-2018/reden/michael-wilk-wiesbaden

Rojava- Nach dem IS…

Ein Gespräch mit dem Arzt Michael Wilk über die Lage der Flüchtlinge, den Wiederaufbau und die Perspektiven der Gesundheitsversorgung in Rojava.

medico international unterstützt im nordsyrischen Rojava medizinische Nothilfe für Flüchtlinge in der Region und den langfristigen Aufbau einer funktionierenden Gesundheitsversorgung. Mit Michael Wilk, Notfallmediziner und Psychotherapeut, haben wir über die aktuelle Situation der Menschen in Rojava und besonders über die Entwicklungen im Bereich der Gesundheitsversorgung gesprochen.

medico:Du fährst seit 2014 regelmäßig nach Rojava und bist dort als Arzt aktiv. Was genau machst du vor Ort?

Michael Wilk: Seit 2014 war ich inzwischen sechs Mal dort. Ich unterstütze vor allem den kurdischen Halbmond und arbeite mit ihm eng zusammen. Der kurdische rote Halbmond (Heyva Sor a Kurd) ist ein unabhängiger kurdisch-syrischer Gesundheitsdienst, der eigenständig im Bereich Notfallversorgung und Strukturaufbau, z.B. Ambulatorien und Kliniken, arbeitet. Ich versuche, nicht nur einzelne Leute in Notfallsituationen zu versorgen, sondern möglichst nachhaltig zu arbeiten: also auch Menschen vor Ort in strukturellen oder logistischen Bereichen zu unterrichten, um ihnen verbesserte Grundlagen für die weitere Arbeit zu vermitteln. https://www.medico.de/nach-dem-is-16922

Syrien:Sturm auf Rakka, Beitrag im Weltspiegel der ARD, 2. Oktober 2017

https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/syrien-rakka-100.html

„Vier Jahre lang war die nordsyrische Stadt Rakka inoffizielle Hauptstadt des sogenannten islamischen Staates. Bärtige Kämpfer beherrschten das Leben und terrorisierten die Bevölkerung. Nun steht die endgültige Rückeroberung der Stadt unmittelbar bevor: Kurdische und arabische Truppen kämpfen am Boden, die internationalen Koalition aus der Luft. Mittendrin ein deutscher Arzt: Michael Wilk ist seit 2014 immer wieder in den Kurdengebieten Nordsyriens unterwegs. Er befürchtet, dass ein Ende des Kampfes noch lange kein Ende des Leidens bedeutet: Wenn zehntausende Geflüchtete in ihre Häuser zurückdrängen, drohen ihnen Verletzungen durch Minen und Sprengfallen, die der IS in der ganzen Stadt versteckt hat – als tödliches Souvenir der Terrorherrschaft. Volker Schwenck (ARD-Studio Kairo)“

Kämpfer der syrischen Opposition in den zerstörten Straßenzügen von Rakka.

„Hoffnung trotz Terror und Krieg in Syrien“

Ein aktueller Bericht aus dem syrisch-kurdischen Rojava

1. Mai 2017 | Michael Wilk Graswurzelrevolution https://www.graswurzel.net/gwr/2017/05/hoffnung-trotz-terror-und-krieg-in-syrien/

„Die Situation in Syrien ist so unübersichtlich wie grausam. Die Schätzungen der getöteten Menschen belaufen sich inzwischen auf 470.000 (NGO SCPR). Von den rund 21 Millionen Menschen Syriens ist die Hälfte auf der Flucht, fünf Millionen flüchteten außer Landes, weit über sechs Millionen suchten innerhalb der Grenzen nach einem anderen, sichereren Ort. Die Lage ist für die Geflohenen und für die in den Kampfgebieten verbliebenen Menschen katastrophal und gefährlich. Hoffnung gibt es dagegen im Norden des Landes…“

„Kampf um Menschenleben in Kobane“,

Deutscher Arzt berichtet aus Syrien heute.de Juli 2016 (nicht mehr im online-archiv vorhanden)

Kampf um Menschenleben in Kobane

Weitgehend unbeobachtet gehen nahe der nordsyrischen Stadt Kobane die Kämpfe kurdischer Einheiten gegen IS-Terroristen weiter. Die Opferzahlen sind hoch, die Hilfsmöglichkeiten der Mediziner sehr begrenzt. Beobachtungen eines deutschen Arztes.

Von Dr. med. Michael Wilk, zurzeit in Rojava (Nordsyrien)//Infobox//Michael Wilk……ist Arzt, Psychotherapeut, Autor und Umweltaktivist. Seit 2014 hat Wilk mehrere humanitäre Hilfseinsätze in Rojava im Norden Syriens geleistet. Nun will der Wiesbadener den kurdischen Roten Halbmond beim Aufbau eines permanenten Rettungssystems unterstützen. Er berichtet von seinen Erfahrungen vor Ort bei heute.de.//

Die Versorgung von Verletzten hat Vorrang vor allem anderen, auch vor dem Austausch über Rettungslogistik, dem ursprünglichen Ziel meiner Reise. Mein Kollege Sherwan und ich müssen aushelfen im Krankenhaus von Kobane, dem der Front nächstgelegenen Hospital. Es gibt kaum Ärzte und die Kämpfe um die Stadt Manbij fordern viele Opfer. Die kurdischen Verbände von YPG und der reinen Frauenverbände der YPJ, haben die Stadt umschlossen. Der IS versucht seine eingeschlossenen Kämpfer zu befreien.

In Kobane: Trümmerwüste beseitigt, Klinik eingerichtet

Die Möglichkeiten im Hospitalvon Kobane sind begrenzt. Einiges kann versorgt werden, viele Verletzte müssen jedoch nach Qamishlo weiterverlegt werden–eine vierstündige Fahrt über holprige Straßen. Neurochirurgische Eingriffe und Thoraxchirurgie (die operative Behandlung von Erkrankungen der Lunge, der Brustwand, der Speiseröhreu.a.) sind zurzeit nur in der Hauptstadt der „Autonomen Föderation Nordsyrien –Rojava“ machbar. In Kobane hat sich viel verändert. Seit meinem letzten Besuch vor einem Jahr hat sich nicht nur die Ausstattung der Klinik verbessert, viele Ruinen des zu circa 90 Prozent zerstörten Stadtzentrums wurden eingeebnet, um Raum zu schaffen für neue Straßen, Häuser und Plätze. Für einenNeuanfang, an den viele nicht glauben konnten, die das Trümmerfeld nach der viermonatigen Abwehrschlacht gegen den IS vor Augen hatten.

Kobane: Symbol des Widerstands gegen den IS

Etwa 250.000 Einwohnersind inzwischen zurückgekehrt in eine verwüstete Stadt, die 2014 den Angriffen des IS unter großer Opferbereitschaft trotzte. Bis heute ist Kobane ein Symbol des Widerstands, allerdings zum Preis unzähliger Opfer. Nur wenige Menschen lebten noch unter den Trümmern, als der IS die Belagerung aufgeben musste. Der Aufbau der Stadt erfolgt aus eigener Kraft. Die Zurückkehrenden, die in der Türkei oder in sicheren Teilen des Kurdengebiets Rojava im Norden Syriens Zuflucht gefunden hatten, erhalten zu wenig Unterstützung von außerhalb. „Hilfe kommt von Nichtregierungsorganisationen oder von im Ausland lebenden Kurden, die sich mit Material-und Geldspenden engagieren“, so Sozdar, die in der Verwaltung arbeitet.

Embargo der Türkei erschwert Leben in Nordsyrienzusätzlich

Der Überlebenswille der Menschen ist beeindruckend, die neuen Gebäude sind nur der sichtbare Teil ihrer Aufbauleistung. Alles muss neu organisiert werden: die Energie-und Trinkwasserversorgung ebenso wie das Schul-und Gesundheitssystem. Einfach alles. „Als ob die Situation nicht schon schwer genug wäre, das Embargo durch die Türkei macht alles noch komplizierter. Bei allem,was wir anschaffen, geht es immer auch darum, ob und wie auch Ersatzteile zu bekommen sind“, sagt Sozdar und lacht. Ich erlebe die Stimmung oft gelöst und fröhlich, viele seien einfach nur erleichtert, wieder zu Hause zu sein– auch wenn dieses Haus zum Teil noch in Trümmern liegt.

Von Projektilen durchschlagene Körper, abgetrennte Gliedmaßen

Dass die Menschen überhaupt noch lachen können, verwundert angesichts der Dramatik in der Notaufnahme. Allein am heutigen Tag wurden uns in einem Zeitraum von nur einigen Stunden neun Schwerverwundete gebracht. Trotz aller Bemühungen waren zwei Menschen nicht mehr zu retten. Die anderen konnten wir zumindest am Leben halten. Explodierende Granaten zerfetzen Körperteile oder treiben eine Vielzahl Fremdkörper in den Leib der Opfer. Verbrannte, von Projektilen durchschlagene Körper, abgetrennte Gliedmaßen–grauenhafte Bilder, die abzubilden nicht zumutbar ist. Außerdem: Helfer, die oft hilflos sind angesichts dieses Desasters. Es sei schon seit Wochen so, bekomme ich gesagt, alle seien am Ende. Ich bewundere die Menschen,die über so lange Zeit diese Arbeit verrichten. Die Erschöpfung ist ihnen anzusehen.

„Ich schäme mich für die Skrupellosigkeit europäischer Politiker“

Und ich schäme mich für die Skrupellosigkeit europäischer und deutscher Politiker, die vollmundig die Rede von der notwendigen Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort im Munde führen, aber nichts Positives unternehmen. Wer es ernst meinte mit der Aussage „Fluchtursachen vermeiden“ zu wollen, müsste seinenWorten Taten folgen lassen. Es wäre ein Leichtes, Medikamente, Baumaterial und Maschinen für den Wiederaufbau zu liefern. Die Maximen der Politik sind jedoch andere: Die Bedenken, mit der Unterstützung der PKK-nahen Kurden Nordsyriens die Türkei vor den Kopf zu stoßen und damit den Bündnis-und NATO-Partner zu verprellen, stehen weit über der Notwendigkeit, konkrete Hilfe zu gewähren. Aber für den Kampf gegen den IS sind die Menschen Rojavas gut genug.